Buchpräsentation in der bis zum Rand gefüllten Buchhandlung
Dienstag, 5. April 2016
Der neu erschienene Band (Konzervatív reform. Klebelsberg, Domanovszky, Szekfű, Hóman, Hajnal) des Historikers Ferenc Glatz wurde von Univ. Prof. György Granasztói im Rahmen einer Buchpräsentation in der Budapester Buchhandlung István Örkény vorgestellt. Die Klub-Buchhandlung war durch das zahlreich versammelte Publikum bis zum Rand gefüllt. Anschließend signierte der Autor den Interessenten aus den Reihen des Publikums sein neuestes Werk. Renommierte Persönlichkeiten des wissenschaftlichen und öffentlichen Lebens beehrten die Veranstaltung mit ihrer Anwesenheit, so Mitglieder der Akademie, der amtierende Präsident der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, László Lovász; der frühere ungarische Ministerpräsident, Miklós Németh; frühere Regierungsmitglieder; der ehemalige Vorsitzender des ungarischen Rechnungshofes; ehemalige und amtierende leitende Persönlichkeiten des Amtes des Ministerpräsidenten sowie zahlreiche Historikerkollegen und Freunde.
„Man könnte auch sagen, dass dieses Buch ein Abdruck des Verhaltens eines Forschers ist – eines Verhaltens, das den Alltag des Autors und vielleicht auch seiner ganzen Generation in den Jahrzehnten zwischen 1970 und 1990 bestimmte” – diese waren die Eröffnungsworte der Journalistin Ágnes László, die als Moderatorin der Veranstaltung den Auftakt zu der Buchpräsentation bot. „Der Autor ist dem Publikum sehr wohl bekannt, in seiner Funktion als Minister, als Redakteur der Zeitschrift História oder eben als Präsident der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (UAW), vielleicht als Vorsitzender der nationalstrategischen Forschungen, was aber dem Publikum vielleicht etwas weniger bekannt ist, ist Ferenc Glatz, der Forscher. Dieses Buch handelt nicht nur von den fünf Protagonisten – von Klebelsberg, Domanovszky, Szekfű, Hóman und Hajnal, sondern auch vom Autor.” Die Moderatorin verwies damit auf den inhaltlichen Aufbau des Buches von Ferenc Glatz, die gewählte Struktur der einzelnen Kapitel, die Themenauswahl, die Anwendung verschiedener Genres, mitunter auch von Rückerinnerungen des Autors, die jeweils eine Analyse des Zeitgeschehens enthalten, kurz auf das im Buch durchwegs präsente Prinzip: „Die Forschung ist alles – das Ergebnis ist nichts!” Die Moderatorin rekapitulierte aus dem Vorwort des Autors an die Leser die Teile, in denen die zeitgenössischen Forschungstechniken, die Voraussetzungen für die Forschung und der Forschungsalltags, das Sammeln von Forschungsmaterialen beschrieben werden. (Damals gab es noch kein Internet, man hatte mit Hilfe des World Wide Web keinen Zugriff auf die Werke der Geschichtsschreiber des angehenden 20. Jahrhunderts, sondern musste nach Deutschland, Frankreich, England und Österreich reisen, um in den dortigen Bibliotheken die Werke in die Hand zu nehmen und zu bearbeiten; damals bedeutete die „Sammlung von Daten” die Zettel, die mit der eigenen Hand angefertigt wurden, und das Erinnerungsvermögen des Forschers, dass ihm so manche gute Dienste erwies.)
György Granasztói, emeritierter Universitätsprofessor und Doktor der Wissenschaften an der UAW, berief sich in seiner Würdigung auf diese gleiche Zeit, insbesondere da ihn in diesen Jahren eine freundschaftlich-kollegiale Beziehung mit dem Autor des Buches verband, denn sie waren beide im Institut für Geschichtswissenschaft der UAW, wo die einzelnen Kapitel des Bandes zustande kamen, tätig. Eine richtungsweisende Erfahrung in den 1970–1980er Jahren unter den Vertretern der damals jungen Generation war das rege Interesse an der Tätigkeit und Forschung des Anderen. Eine weitere prägende Erfahrung im Institut war eine offenbare Kontinuität der einander folgenden Generationen. Zu der ältesten Generation gehörten György Györffy, László Makkai und Kálmán Benda, dann kam die Generation von Jenő Szűcs. Die neu hinzukommenden Generationen bildeten jeweils ein neues Kettenglied in dieser Kontinuität. György Granasztói, dessen damaliges Forschungsinteresse in Verbindung mit dem im Buch angeführten Forschungsteam vorwiegend der Wirtschaftsgeschichte galt, insbesondere der Erforschung der französischen Annales-Schule aus historiographischer und methodologischer Sicht, hob in seiner Rede die Kapitel über Sándor Domanovszky und István Hajnal hervor. Er schloss sich dem Autor des Buches mit Hinsicht auf die Beurteilung von Hajnal an, denn auch er ist der Meinung, dass Hajnal ein Neudenker von großem Format war, dessen Zielsetzungen, die in der Soziologie gebräuchlichen methodologischen Ansätze auf die Erforschung der Massenphänome in der Geschichte zu übertragen, bis heute maßgebend und in der damaligen Zeit als bahnbrechend gelten bzw. galten. Zu den Verdiensten von Ferenc Glatz zählt er, dass Glatz mit der Ausarbeitung historiographischer Themen in den Jahrzehnten zwischen 1969–1989 die grundlegenden Fragestellungen der historische Erkenntnis und der Fachmethodologie auf die relevanten Quellen gestützt darlegte, und zwar nicht allein auf dem Gebiet der Politik- und Ideengeschichte, sondern auch in der Wirtschafts- und Sozialgeschichtsforschung. In diesem Zusammenhang verwies György Gransztói auf eine der früheren Initiativen des Autors, die Lebenswerke der europäischen Historiker aus methodologischer Sicht zu erforschen, denn – wie er betonte – dieses Vorhaben hat bis heute nichts von seiner Aktualität eingebüßt. In diesem Zusammenhang verwies er auf das umstrittene Lebenswerk des deutschen Historikers und Soziologen, Hans Freyer, der – wie das im Buch von Ferenc Glatz dokumentiert ist – jahrelang eng mit Hajnal und den ungarischen Historikern zusammengearbeitet hatte und der vom Nationalismus desillusioniert schließlich mehrere Jahre in Ungarn verbrachte. Zum Abschluss seiner Rede sprach György Granasztói anerkennend über das von ihm zuvor erwähnte, damals noch junge Team von Historikern im Institut für Geschichtswissenschaft der UAW, die lebhaftes und allgemeines Interesse an der Geschichtsforschung und an Fragen des öffentlichen Lebens zeigten. Und hierzu gehörte auch, dass sich die Forscher wöchentlich zweimal zu kleineren oder größeren Gesprächsrunden zusammenfanden, wobei Ferenc Glatz bei diesen Anlässen regelmäßig die Thematik der Erforschung der Charakteristika und der fach- bzw. zeitspezifischen Aspekte der Geschichtsschreibung zur Diskussion vorlegte.
Ferenc Glatz verwies zur Beginn seiner Rede auf die Fragestellungen der Moderatorin und von György Granasztói und führte an, dass seine Generation und auch er persönliche bestrebt war Geschichtsforschung als „Selbstzweck“ zu betreiben. Das bedeutete eine Abkehr von der „Denkmal-Geschichtsschreibung“, die in politische Jubiläen komprimiert und in Statuen zementiert wurde – und bereits in den 1960-er Jahren im politischen Leben zur „Mode“ geworden war – und die Ablösung dieser durch eine Geschichtswissenschaft, die sich zum Programm macht, in der Geschichte den Fundus der Vielfalt des Menschen und der Natur zu sehen und die Darstellung und Erforschung dieser Vielfalt an sich für wertvoll hielt. Und zwar unabhängig von jeglichen politischen und ideologischen Programmen… Darauf bezieht sich ein Teil des Klebelsberg-Kapitels: In den 1920er Jahren musste die Profession vonseiten der Politik diverse Eingriffe erdulden, so die Einführung von unverhüllt ideologisch geprägten Programmen – zum Teil auch, dass die staatliche und nationale Thematik stark in den Vordergrund gestellt wurde – und die Pression auf die Finanzierung. (Es war nicht selten, dass Mittelalterforscher sich gezwungen sahen – um ihren Lebensunterhalt sichern zu können – zur Neuzeitforschung überzuwechseln.) Es ist lehrreich, dass die Forschung, die gezwungenermaßen der Kulturpolitik flankieren musste, aus fachwissenschaftlicher Sicht sehr wohl fähig war Wertbeständiges zustande zu bringen, insbesondere in Verbindung mit der Analyse des 19. Jahrhunderts und des Zeitalters der Nationen- und der Staatsnationenbildung; und das geschah eben aus dem Grund, weil die Kulturpolitik bereit war zu respektieren, dass die Arbeit des Historikers, die wissenschaftliche Forschung allgemein und die Konzeptbildung eigenen Gesetzen gehorcht. Diese Haltung der Kulturpolitik, die stets Respekt vor einem anspruchsvollen Niveau hatte, trug ebenfalls dazu bei, dass die ungarische Geschichtswissenschaft in der Zwischenkriegszeit zu einem der vielfältigsten nationalen Geschichtsschreibungen in Europa und zum Begründer einer fachkundigen Neuzeitforschung wurde – was der Autor in seinem Buch mit Hilfe eines internationalen Vergleiches zu belegen wünscht. (Das ist auch der Grund für den Respekt, den der Autor im Jahre 1969 als Forscher und 1989, später 1999 – wie dies dem Buch zu entnehmen ist – als Minister und Präsident der Akademie für Kuno Klebelsberg empfand. Und er nicht den Fehler begehen wollte, dass die Kultur- und Wissenschaftspolitik mit administrativen Mitteln die Forscher bei ihrer Themenwahl beeinflusst oder konkrete Ansprüche auf die vermeintlichen Ergebnisse eines Forschungsvorhabens formuliert.)
Ferenc Glatz nannte es ein prioritäres Fachprogramm seiner Jugendzeit, dass er sowohl die ungarischen als auch die internationalen Foren dazu nutzte, die Aufmerksamkeit auf das auch im europäischen Vergleich hohe Niveau der ungarischen Kultur – die Errungenschaften der Zeit zwischen 1920 und 1949 –zu lenken. „Der Historiker – der ein echter Historiker ist und nicht ein Vertreter des Agitprops – richtet sich nicht an die ideologischen Programme oder fabriziert selber Gegenprogramme, – so Glatz –, es kann aber abermals vorkommen, dass die durch den Historiker erschlossenen Fakten und Schlussfolgerungen von seiner Person losgelöst im geistigen Leben der Zeit Fuß fassen.” Als Beispiel führte er das Werk „Három nemzedék“ [Drei Generationen] von Gyula Szekfű an, das in den 1920er Jahren, ohne dass der Autor das gewollt hätte, das „Handbuch“ bei antisemitischen Kampagnen wurde, und dabei entging es der Aufmerksamkeit des Publikums, dass das Buch weit wichtigere, sublime ideengeschichtliche und gesellschaftshistorische Feststellungen enthielt. Und die Forschungsergebnisse sowie Schlussfolgerungen seiner Generation – von den Intentionen des Autors losgelöst – fassten ebenfalls Fuß in der Kulturpolitik und im geistigen Leben der 1970–1980er Jahre.
Von Anfang an gehörte es zu den vom Autor verfolgten Programmen, dass die anspruchsvollen Publikationsreihen und die Lebenswerke niveauvoller Kulturpolitiker einen Weg zurück in die Geschichtswissenschaft bzw. in die Kulturpolitik finden sollen. Lebenswerke, die nach 1949 verschwiegen oder öffentlich aus dem ungarischen geistigen Leben ausgeschlossen wurden. Das Buch enthält die fachwissenschaftlichen Ergebnisse, die beim Verfolgen dieser Zielsetzung erlangt wurden: das Europäertum und die fachkundige Professionalität der Klebelsberg‘schen Kultupolitik und die fachwissenschaftlichen Neuerungen der 1949 von der Akademie ausgeschlossenen (Domanovszky, Hajnal) oder in den Hintergrund gedrängten (Szekfű) Historiker konnte in den 1970–1980er Jahren endlich an die Oberfläche gelangen. Das Buch behandelt aber nicht nur die im Titel angeführten fünf zentralen Persönlichkeiten (Klebelsberg, Domanovszky, Szekfű, Hóman, Hajnal) und ihre Generation, die Jahrzehnte zwischen 1920–1949, sondern legt ebenfalls ihre schrittweise durchgeführte Rehabilitierung dar, und behandelt damit die Zeit zwischen 1968–1990. Die Kritik an der Ausgrenzungspolitik der Proletardiktatur und die Forderung nach einer Korrektion – so führte Glatz an – waren fühlbar präsent. Die im Buch veröffentlichten Vorträge und Studien wurden nicht „illegal“ oder als Samisdatausgabe verbreitet, sie wurden an öffentlichen Foren gesprochen oder öffentlich publiziert, wobei der Autor stets zu dem Stand, was von ihm verlautet oder zu Papier gebracht wurde. Nach Meinung von Glatz spricht es für sich, dass die Reformkräfte sich dem Programm der Rehabilitierung der bürgerlichen Kultur angenommen hatten und dieses unterstützten. Und das bedeutet, dass in der Geschichtswissenschaft neben der Kontinuität der Generationen – etwas, was György Granasztói bei der Präsentation des Buches als äußerst positiv bewertete – ebenfalls die Kontinuität der fachwissenschaftlichen Traditionen in der Geschichtswissenschaft gewährleistet und eine Verbindung zwischen der bürgerlichen Zeit vor 1949 und der 1970–1980er Jahre hergestellt werden konnte. Glatz würdigte György Ránki, der seiner Zeit ein großformatiger Wissenschaftsorganisator im ungarischen und internationalen Leben war, für seine fachliche und kulturpolitische Unterstützung dieses Programms, wie auch Ivan T. Berend – ab 1980 Präsident der Historischen Klasse an der Akademie, zwischen 1985 und 1990 Präsident der UAW und „auch“ Mitglied des Zentralkomitees der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei –, der den radikalen Reformbestrebungen der damals jungen Generation eine Art Schutzschirm bedeutete.György Granasztói, emeritierter Universitätsprofessor und Doktor der Wissenschaften an der UAW, berief sich in seiner Würdigung auf diese gleiche Zeit, insbesondere da ihn in diesen Jahren eine freundschaftlich-kollegiale Beziehung mit dem Autor des Buches verband, denn sie waren beide im Institut für Geschichtswissenschaft der UAW, wo die einzelnen Kapitel des Bandes zustande kamen, tätig. Eine richtungsweisende Erfahrung in den 1970–1980er Jahren unter den Vertretern der damals jungen Generation war das rege Interesse an der Tätigkeit und Forschung des Anderen. Eine weitere prägende Erfahrung im Institut war eine offenbare Kontinuität der einander folgenden Generationen. Zu der ältesten Generation gehörten György Györffy, László Makkai und Kálmán Benda, dann kam die Generation von Jenő Szűcs. Die neu hinzukommenden Generationen bildeten jeweils ein neues Kettenglied in dieser Kontinuität. György Granasztói, dessen damaliges Forschungsinteresse in Verbindung mit dem im Buch angeführten Forschungsteam vorwiegend der Wirtschaftsgeschichte galt, insbesondere der Erforschung der französischen Annales-Schule aus historiographischer und methodologischer Sicht, hob in seiner Rede die Kapitel über Sándor Domanovszky und István Hajnal hervor. Er schloss sich dem Autor des Buches mit Hinsicht auf die Beurteilung von Hajnal an, denn auch er ist der Meinung, dass Hajnal ein Neudenker von großem Format war, dessen Zielsetzungen, die in der Soziologie gebräuchlichen methodologischen Ansätze auf die Erforschung der Massenphänome in der Geschichte zu übertragen, bis heute maßgebend und in der damaligen Zeit als bahnbrechend gelten bzw. galten. Zu den Verdiensten von Ferenc Glatz zählt er, dass Glatz mit der Ausarbeitung historiographischer Themen in den Jahrzehnten zwischen 1969–1989 die grundlegenden Fragestellungen der historische Erkenntnis und der Fachmethodologie auf die relevanten Quellen gestützt darlegte, und zwar nicht allein auf dem Gebiet der Politik- und Ideengeschichte, sondern auch in der Wirtschafts- und Sozialgeschichtsforschung. In diesem Zusammenhang verwies György Gransztói auf eine der früheren Initiativen des Autors, die Lebenswerke der europäischen Historiker aus methodologischer Sicht zu erforschen, denn – wie er betonte – dieses Vorhaben hat bis heute nichts von seiner Aktualität eingebüßt. In diesem Zusammenhang verwies er auf das umstrittene Lebenswerk des deutschen Historikers und Soziologen, Hans Freyer, der – wie das im Buch von Ferenc Glatz dokumentiert ist – jahrelang eng mit Hajnal und den ungarischen Historikern zusammengearbeitet hatte und der vom Nationalismus desillusioniert schließlich mehrere Jahre in Ungarn verbrachte. Zum Abschluss seiner Rede sprach György Granasztói anerkennend über das von ihm zuvor erwähnte, damals noch junge Team von Historikern im Institut für Geschichtswissenschaft der UAW, die lebhaftes und allgemeines Interesse an der Geschichtsforschung und an Fragen des öffentlichen Lebens zeigten. Und hierzu gehörte auch, dass sich die Forscher wöchentlich zweimal zu kleineren oder größeren Gesprächsrunden zusammenfanden, wobei Ferenc Glatz bei diesen Anlässen regelmäßig die Thematik der Erforschung der Charakteristika und der fach- bzw. zeitspezifischen Aspekte der Geschichtsschreibung zur Diskussion vorlegte.
Ferenc Glatz verwies zur Beginn seiner Rede auf die Fragestellungen der Moderatorin und von György Granasztói und führte an, dass seine Generation und auch er persönliche bestrebt war Geschichtsforschung als „Selbstzweck“ zu betreiben. Das bedeutete eine Abkehr von der „Denkmal-Geschichtsschreibung“, die in politische Jubiläen komprimiert und in Statuen zementiert wurde – und bereits in den 1960-er Jahren im politischen Leben zur „Mode“ geworden war – und die Ablösung dieser durch eine Geschichtswissenschaft, die sich zum Programm macht, in der Geschichte den Fundus der Vielfalt des Menschen und der Natur zu sehen und die Darstellung und Erforschung dieser Vielfalt an sich für wertvoll hielt. Und zwar unabhängig von jeglichen politischen und ideologischen Programmen… Darauf bezieht sich ein Teil des Klebelsberg-Kapitels: In den 1920er Jahren musste die Profession vonseiten der Politik diverse Eingriffe erdulden, so die Einführung von unverhüllt ideologisch geprägten Programmen – zum Teil auch, dass die staatliche und nationale Thematik stark in den Vordergrund gestellt wurde – und die Pression auf die Finanzierung. (Es war nicht selten, dass Mittelalterforscher sich gezwungen sahen – um ihren Lebensunterhalt sichern zu können – zur Neuzeitforschung überzuwechseln.) Es ist lehrreich, dass die Forschung, die gezwungenermaßen der Kulturpolitik flankieren musste, aus fachwissenschaftlicher Sicht sehr wohl fähig war Wertbeständiges zustande zu bringen, insbesondere in Verbindung mit der Analyse des 19. Jahrhunderts und des Zeitalters der Nationen- und der Staatsnationenbildung; und das geschah eben aus dem Grund, weil die Kulturpolitik bereit war zu respektieren, dass die Arbeit des Historikers, die wissenschaftliche Forschung allgemein und die Konzeptbildung eigenen Gesetzen gehorcht. Diese Haltung der Kulturpolitik, die stets Respekt vor einem anspruchsvollen Niveau hatte, trug ebenfalls dazu bei, dass die ungarische Geschichtswissenschaft in der Zwischenkriegszeit zu einem der vielfältigsten nationalen Geschichtsschreibungen in Europa und zum Begründer einer fachkundigen Neuzeitforschung wurde – was der Autor in seinem Buch mit Hilfe eines internationalen Vergleiches zu belegen wünscht. (Das ist auch der Grund für den Respekt, den der Autor im Jahre 1969 als Forscher und 1989, später 1999 – wie dies dem Buch zu entnehmen ist – als Minister und Präsident der Akademie für Kuno Klebelsberg empfand. Und er nicht den Fehler begehen wollte, dass die Kultur- und Wissenschaftspolitik mit administrativen Mitteln die Forscher bei ihrer Themenwahl beeinflusst oder konkrete Ansprüche auf die vermeintlichen Ergebnisse eines Forschungsvorhabens formuliert.)
Ferenc Glatz nannte es ein prioritäres Fachprogramm seiner Jugendzeit, dass er sowohl die ungarischen als auch die internationalen Foren dazu nutzte, die Aufmerksamkeit auf das auch im europäischen Vergleich hohe Niveau der ungarischen Kultur – die Errungenschaften der Zeit zwischen 1920 und 1949 –zu lenken. „Der Historiker – der ein echter Historiker ist und nicht ein Vertreter des Agitprops – richtet sich nicht an die ideologischen Programme oder fabriziert selber Gegenprogramme, – so Glatz –, es kann aber abermals vorkommen, dass die durch den Historiker erschlossenen Fakten und Schlussfolgerungen von seiner Person losgelöst im geistigen Leben der Zeit Fuß fassen.” Als Beispiel führte er das Werk „Három nemzedék“ [Drei Generationen] von Gyula Szekfű an, das in den 1920er Jahren, ohne dass der Autor das gewollt hätte, das „Handbuch“ bei antisemitischen Kampagnen wurde, und dabei entging es der Aufmerksamkeit des Publikums, dass das Buch weit wichtigere, sublime ideengeschichtliche und gesellschaftshistorische Feststellungen enthielt. Und die Forschungsergebnisse sowie Schlussfolgerungen seiner Generation – von den Intentionen des Autors losgelöst – fassten ebenfalls Fuß in der Kulturpolitik und im geistigen Leben der 1970–1980er Jahre.
Ferenc Glatz nannte drei Zeitfaktoren, die für ihn persönlich und für seine Generation prägend waren. (Er kategorisiert diese als metafontisch – ein von ihm in diesem Zusammenhang verwendeter Begriff –, d. h. Faktoren, die über die unmittelbaren fachwissenschaftlichen Impulse hinauszeigen und unbeabsichtigt das Denken des Einzelnen und des Historikers beeinflussen.) Hierzu gehören: 1. die sowjetische Besatzung und der Kalte Krieg; 2. Trianon und der überwältigende Schock in der Gesellschaft; 3. die sozialen Umschichtungen nach 1920.
Für Glatz war die sowjetische Besatzung (1945–1990) eine der prägendsten – in seinem Leben mit größter Ausdauer präsenten – Zeitfaktoren. Die Niederschlagung der Revolution, die Erfahrung des Auf-sich-gestellt-Seins ließ ihn bereits in seinen jungen Jahren zu der Überzeugung gelangen: Es herrscht internationales Einverständnis darüber, dass die Besatzungsmacht nach dem verlorenen Weltkrieg im Land bleibt und das Allianzsystem der westlichen Mächte und der weiteren Siegesmacht, der Sowjetunion, ist fest verankert. Die Forscher, Lehrer und Künstler, die sich mit Geschichte, Literatur und mit Themen zur Erhaltung der Nationalkultur beschäftigen, müssen unter den Rahmenbedingungen eines besetzten Ungarns in ihrer Heimat verbleiben und ihre persönlichen Lebensziele diesem Umstand angepasst festlegen. „Individuelle Ziele, über die wir hier und da sprachen, aber die meiste Zeit schwiegen wir hierüber! – sagte Glatz. Die Zielsetzung lautete: die Erhaltung des anspruchsvollen Niveaus der Nationalkultur, die Erhaltung und Betreibung der Institutionen der kleinnationalen Kultur, die Vermittlung der erstklassigen kulturellen Errungenschaften in der Welt nach Ungarn und die Verbreitung ungarischer Errungenschaften an den weltweit organisierten Fachforen. Der verlorene Krieg und der Kalte Krieg, die sowjetische Besatzung schnitt das geistige Leben in Ungarn von der Weltkultur ab. Nach den ersten Jahren als Forscher wurde es zu einem wahren Lebensprogramm, einen Riss am „Eisernen Vorhang des Geistes“ – anzubringen, den Durchgang zwischen dem Osten und Westen zu öffnen, die über mehrere Jahrhunderte bestehende Kontinuität zwischen der ungarischen Nationalkultur und Europa bzw. der Welt zu sichern.
Ein weiterer prägender Zeitfaktor war seiner Meinung nach die Erfahrung von Trianon, was nicht nur die Verstümmelung des Staatsgebietes, sondern gleichwohl die Abtrennung von einem Drittel der ungarischen Bevölkerung und ihre Überführung an feindliche Nationalstaaten bedeutete. Er hält seine diesbezügliche Meinung aufrecht, die er übrigens auch an internationalen Foren wiederholt verlautet: Die Friedenssysteme von 1919–1920 spielten eine entscheidende Rolle dabei, dass in der ostmitteleuropäischen Region – so auch in Deutschland, Österreich und Ungarn, somit in den Verliererstaaten – nationale und soziale radikale Bewegungen, entlang rassistischer Ideen denkende Gesellschaftsgruppen und der Antisemitismus an Kraft gewannen, und 1944 maßgebend wurden. „Man könnte sagen, dass in einem gewissen Sinn die Verantwortung für Hitler auf Clemenceau lastet. Und nicht allein für die erneut ausbrechenden Kriege zwischen den Staaten, sondern für die Verbreitung der sozial-rassistisch veranlagten radikalen Bewegungen“ – sagte Glatz. Das ist auch der Grund, warum die nationale und staatliche Thematik sowie an mehreren Stellen Trianon und die Revision im Mittelpunkt des nun veröffentlichten Buches stehen. Die im Laufe der Jahrzehnte in den Schriften des Autors behandelten Thematiken folgen keiner wo möglichen nationalistischen Pre-Konzeption, sondern sind Schlussfolgerungen, die im Laufe der Forschungen zum historisch-politischen Denken der Jahrzehnte zwischen 1920–1945, der Behandlung von historischen Werken und von Quellen entstanden sind.
Der dritte Zeitfaktor, die Reihe der sozialen Revolutionen, hatte auch einen Einfluss auf das persönliche Leben des Autors. Die Behandlung dieser Thematik bildete allerdings nicht den Gegenstand des neu erschienenen Buches, insbesondere, weil im Fokus des Werkes in erster Linie die Entfaltung der Intellektuellenschicht steht, die ihren Lebensunterhalt mittels ihrer Ausbildung sichert – eine Schicht, die zum Stützpfeiler der ungarischen Geschichtswissenschaft und des geistigen Lebens in der Zwischenkriegszeit wurde. (Sie wurden – mit Ausnahme von Hóman, der von den ursprünglichen Zielen abgewichen war, und von Klebelsberg, der früh verstarb – zu den Gestaltern der bürgerlich demokratischen Zeit zwischen 1945–1948, aber sie waren es auch die nach 1949 von der Proletardiktatur aus dem öffentlichen Leben, aus der Politik, aber auch aus den Bereichen Kultur und Wissenschaft ausgeschlossen oder verbannt wurden. Der Autor verwies darauf, dass er in seinem Buch zu belegen wünschte, dass Domanovszky oder Szekfű, der auch den Posten des Botschafters in Moskau auf sich nahm, später auch Hajnal – der Letztere war vielleicht am meisten überzeugt – sich schließlich doch in das neue demokratische System eingliederten. Die späteren Generationen der auf Grund ihrer Ausbildung ihren Unterhalt verdienenden modernen bürgerlichen Intellektuellenschicht – infolge der sozialen Umwandlungen nach 1945 gehörten hierzu Ránki, später Szűcs und seine Generation – wurden aktive Teilnehmer des geistigen Lebens und sogar der Politik der 1960–1980er Jahre. György Granasztói fügte in Verbindung mit der Würdigung der Tätigkeit von Hajnal als seine persönliche Meinung hinzu, dass Ferenc Glatz ein besonderer Lebensglück widerfahren war als nach der Rehabilitierung einer Reihe von Historikern, die 1949 ausgegrenzt und aus dem geistigen und gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen wurden, es Ferenc Glatz war, der in den Jahren 1989–1990 während seines Ministeramtes eben István Hajnal für den ersten Preisträger des von der Németh-Regierung gegründeten Széchenyi-Preises nominieren durfte. Sein damals verlautetes Argument war wie folgt: Das Europäertum, die kleinnationale Kultur kann nur in dem Fall erhalten werden, wenn die Politik bereit ist die Anforderung der fachkundigen Professionalität und die Kontinuität der wertbeständigen Nationalkultur im geistigen Leben unverhüllt zu unterstützen und von den Intellektuellen nicht abverlangt, dass sie sich den aktuellen Ideologien der Parteipolitik unterwerfen.