Deutschsprachige Universität in Ungarn

Donnerstag, 10. April 2008
Der vom Europa Institut Budapest organisierte Rundtischgespräch hatte Univ.Prof. András Masát, Rektor der Andrássy Gyula Deutschsprachigen Universität (Budapest), zu Gast. Professor Masát sprach über die Rolle und Stellung der Andrássy Universität innerhalb des ungarischen Hochschulsystems. In seinem zur Diskussion anregenden Beitrag betonte Ferenc Glatz, Begründer und Direktor des Europa Institutes Budapest – ein Institut, dessen Arbeitssprache seit der Begründung Deutsch ist – wie wichtig eine Universität mit Unterrichtssprache Deutsch ist, die die Region betreffende, Wirtschaft und Kultur orientierte und auf Osteuropa und dem Balkan bezogene aktuelle Kenntnisse vermittelt.
 
Auszug des Diskussionsbeitrages von Ferenc Glatz:
„Zur Wende des Jahres 1989–90 waren wir, als Mitglieder der derzeitigen Regierung, bestrebt in Ungarn drei fremdsprachige – Englisch, Deutsch und Französisch – Universitäten zu errichten. Die englischsprachige Universität in Budapest, die deutschsprachige im Umfeld des Dreiecks der Städte Pressburg, Győr(Raab) und Wien, die französische in Pécs (Fünfkirchen). Alle drei Hochschulinstitutionen sollten ihre Studentenschaft aus der Region beziehen: aus der Tschechoslowakei, Polen, Jugoslawien, Rumänien und natürlich Österreich sowie aus den süd- und ostdeutschen Gebiete. Als Schwerpunkte der universitären Bildung waren vorgesehen: Mitteleuropastudien, regionale vergleichende Wirtschafts-, Geschichts-, Geographie- und Umweltschutzstudien und Studien der in Ostmitteleuropa gesprochenen Sprachen. Mit Hinsicht auf unsere Pläne war es die Errichtung der englischsprachigen Hochschulinstitution, der CEU (Central European University), die in die Tat umgesetzt wurde. György Soros – durch die Vermittlung meines Freundes Miklós Vásárhelyi – war bereit die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen und der ungarische Staat, die damalige Kultusregierung, wiederum übergab zu diesem Zweck ein wunderschönes Palaisgebäude in der Innenstadt. Diese Universität besteht auch heute.
Es war uns eine besondere Freude als in 1999-2000 die Andrássy Gyula Deutschsprachige Universität gegründet wurde.
Für mich stellen sich somit die folgenden Fragen:
  • Im Europa der Zukunft suchen wir nach der Stellung und Rolle von Institutionen im Hochschulbereich, die Kenntnisse über Sprachen und Kulturen vermitteln. Warum soll in einem außerhalb der Region der Muttersprache liegenden Staat eine deutschsprachige Universität unterhalten werden? In 1989, bei dem ersten Entwurf unseres Planes gingen wir davon aus, dass in der mittel- und osteuropäischen Region das wirtschaftliche Anziehungsfeld der benachbarten deutschsprachigen Gebiete so stark sein wird, dass viele ihr Hochschulstudium hier vollenden wollen. Studenten, die sich auf Deutsch Kenntnisse über Sprache, Kultur und Wirtschaft aneignen wollen. Die Größe des deutschsprachigen Marktes grenzt an die Hundert Millionen. Somit haben wir zu Recht angenommen, dass die weitere 100 Millionen zählende Bevölkerung in der östlichen Nachbarschaft Interesse für eine die Region, die Wirtschaft und Kultur anzielende Hochschulinstitution mit Deutsch als Unterrichtssprache zeigen wird. Gibt es Daten, in welchen Bereichen des Arbeitsmarktes die Absolventen der Andrássy Universität Anstellung finden?
  • Worauf genau bereitet die Andrássy Universität ihre Studenten vor? Welche Vorteile hat ein Studium hier im Vergleich mit Wien, Berlin? Oder mit dem Germanistischen Institut der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest? Die Zahl der Studentenschaft der Andrássy Universität beträgt kaum mehr als 100 Personen. Dies kann gar als ein Debakel angesehen werden. Ein Debakel, die nur auf Grund der Bedeutung der zwischenstaatlichen Kooperation nicht als solche gewertet wird.
  • Das Europa der Zukunft sieht sich als ein Europa der Regionen. Und nicht der Staaten. Macht sich die Andrássy Universität den politischen Rückwind zu Nutze, den ihr mit Bezug auf die Vermittlung von aktiven Kenntnissen über Ostmitteleuropa, sogar dem Balkan von Seiten Bayerns, Baden-Württembergs sowie Österreichs – ja und Ungarns – zukommen würde? Es liegt doch im eindeutigen Interesse dieser Länder und Staaten, dass die südöstliche Erweiterung der EU ihre Bürger zu Vorteilen verhilft (Handel, Investition, Tourismus usw.). Das Europa Institut Budapest, als eine deutschsprachige Institution, führt zum Beispiel einen aktiven Balkan Projekt, ohne staatliche Unterstützung. Sieht die Andrássy Universität eine Möglichkeit sich an der Förderung des Projekts zu beteiligen?
  • In dieser Region fehlt es im Hochschulbereich an der Vermittlung von „Europa-Kenntnissen“ in einer der Weltsprachen. Plant die Andrássy Universität die Einführung von Europa-Kursen auf Deutsch in ihr Kurrikulum? Um wieder unser Institut als Beispiel zu nennen: Das Europa Institut gemeinsam mit der Eötvös-Loránd-Universität haben vor kurzem die Akkreditierung eines Europastudiums auf MA-Ebene erfolgreich abgeschlossen. (Wiederum ohne staatliche Unterstützung.) Wir würden eine Kooperation mit der Andrássy Universität äußerst begrüßen, wenn das Lehrerpotential der Andrássy Universität bereit zeigt sich „dieser Aufgabe zu stellen“.
  • In der Europäischen Union der kommenden Jahrzehnte werden sich voraussichtlich die Studenten zwischen den Universitäten frei bewegen können. Diesbezüglich lautet meine Frage: Wurde das Kurrikulum der Andrássy Universität denen der Wirtschaftsuniversität (Corvinus Universität) und der Eötvös-Loránd-Univeristät angepasst? Wäre es nicht vorteilhaft die Kurrikula anzupassen? Da doch der ungarische Staat der Universität nicht nur das Gebäude, sondern ebenfalls eine bestimmte – tatsächlich eine eher geringe – Summe an Fördermitteln zur Verfügung stellt?
  • Welche Verpflichtungen übernehmen die deutsche bzw. die österreichische Regierung mit Hinsicht auf die Finanzierung der Universität? Kann es als eine angemessene Art der zwischenstaatlichen Finanzierung angesehen werden, wenn vom besagten Staat bzw. Bundesland – Österreich, die Schweiz, die deutschen Bundesländer Bayern bzw. Baden-Württemberg – Universitätsprofessoren versandt werden, die von ihrem eigenem Land bezahlt werden und zu Hause ebenfalls eine feste Stellung beziehen. Hierbei beteiligt sich der besagte Staat nicht an den hier, vor Ort anfallenden Kosten, wie auch nicht an den Kosten, die in Verbindung mit der Forschungstätigkeit anfallen. Denn die europäische Universität ist nicht ausschließlich eine Institution für Bildung, sondern zugleich ein Forschungsinstitut.
  • Ein bedeutender Anteil der Bevölkerung in Ostmitteleuropa gehört bis zum heutigen Tag der deutschen Minderheit an. Gibt es von Seiten der deutschsprachigen Universität einen Programmplan, der sich auf die Pflege der Beziehungen zu den einzelnen Institutionen der deutschen Minderheit in der Region bezieht? Insofern solch ein Programm bereits vorliegt, erhielt dieser bislang wenig Öffentlichkeit.”