Hungarologie in der Europäischen Union

Donnerstag, 17. April 2008
Im Rahmen des Rundtischgesprächs Die Stellung und Rolle der Hungarologie im deutschen Sprachraum, einer gemeinsamen Veranstaltung des Europa Institutes Budapest, der Arbeitsgruppe für Europäische Geschichte der UAW sowie des Germanistischen Institutes an der Eötvös-Loránd-Universität, Budapest, boten a.o.Univ.Prof. Andrea Seidler (Universität Wien) und Dr. Zsolt K. Lengyel, Direktor des Ungarischen Institutes in München, einen breit gefächerten Überblick zum Thema. Gründungsdirektor Ferenc Glatz argumentierte für die staatliche Unterstützung von Forschungsstellen und Universitätslehrstühlen im Ausland, die Forschungen zur Hungarologie betreiben. Hierbei verwies er insbesondere auf den Gemeinnutz dieser Tätigkeit.

„Wir müssen uns dem Europa der Zukunft zuwenden. Wo die ungehinderte Migration des Geistes, der Einzelpersonen sowie der wirtschaftlichen Akteure gewährleistet wird. Und so sieht mein Zukunftsbild aus: Es soll zu der Herausbildung einer europäischen Intellektuellenschicht beigetragen werden, deren Bildungsstand auf einer gemeinsamen Grundlage beruht. Der „Bologna-Prozess“ erfasst bedauerlicher Weise lediglich Aufgaben mit Hinsicht auf die Errichtung des institutionellen Rahmens ohne näher auf die fachspezifische Gewährleistung der Kompatibilität einzugehen. (Wir der Bologna-Prozess bewirken, dass Ingenieure, Historiker usw. eine wechselseitig kompatible Bildung erlangen?) Nun müssen wir aber auf das Folgende zu sprechen kommen: Wie sieht die Zukunft der verschiedenen Formen der sprachlichen-kulturellen Ausbildung aus? Meiner Meinung nach wird der europäische Bürger der Zukunft plurale Identitäten und vielseitige Interessen haben. Mehrsprachigkeit wird bedeuten, dass die Menschen verschiedene Sprachen auf unterschiedlichem Niveau beherrschen: Die Menschen werden mit Hinsicht auf einzelne Sprachen ein Minimum an Sprachkenntnissen besitzen, letztendlich aber in mehreren Sprachen bewandert sein. Dem Hochschulwesen der einzelnen Länder stellt sich die Aufgabe dieser Art der Nachfrage gerecht werden zu können. (Es wird also nicht jedermann nach Berlin fahren um dort Deutsch zu lernen, denn die Erwartung an den Staat wird lauten, dass dieser hier in Ungarn einen Lehrstuhl für verschiedene Sprachen aufrechterhält. Ob wohl die Nachfrage nach der ungarischen Sprache auch in Deutschland oder Österreich gestellt wird?)
• Die Frage lautet: Wird im Europa der Zukunft es die Aufgabe des lokalen, vor Ort eingerichteten kulturellen Bildungssystems sein der Nachfrage der lokalen Kultur gerecht zu werden? Oder wird es auch im Ausland einen institutionellen Rahmen zur Erhaltung der einzelnen Sprach- und Sittenkulturen geben? Wird sich jemand, der an der ungarischen Sprache und Kultur interessiert ist, aber in einem anderen Land lebt, nach Ungarn begeben um hier an einer ungarischen Universität die ungarische Sprache und die Kultur zu erlernen oder sich eher an eine Bildungs- bzw. kulturelle Institution in seiner/ihrer nächsten Nähe inskribieren? An der Universität Wien, am Lehrstuhl für Finnougristik in München oder in Berlin? Wie verhält sich die Ausbildung hinsichtlich der Vermittlung von Kenntnissen über die kleinsprachlichen Kulturen innerhalb des lokal eingerichteten Hochschulwesens? In wieweit ist die Ausbildung eher philologisch ausgerichtet oder eher auf die Vermittlung von Sprachkenntnissen bzw. von „Kultur bezogenen Kenntnissen“ bedacht? Die gleichen Fragen müssen in Verbindung mit der deutschen, französischen usw. Sprache bzw. Kultur gestellt werden – auch mit Hinsicht auf die Interessenten aus dem Ausland. Sollen in Budapest und in anderen Städten die Lehrstühle für die französische, deutsche usw. Sprache und Literatur bestehen bleiben oder sollen die Studenten geradewegs in Frankreich, Deutschland ihr Studium vollenden? Selbstverständlich befinden sich die großen sog. Weltsprachen oder großen Kulturen in einer anderen Situation als die kleinen Kulturen wie das Ungarische.
• Die Frage lautet: Wollen wir die Ausbildung mit Bezug auf eine fremde Sprache und Kultur beibehalten – und genau das ist ja unsere gemeinsame Zielsetzung –, so müssen wir uns im Klaren darüber werden, in wie weit sich das Studium einer Fremdsprache bzw. Literatur in Budapest von dem gleichen Studium in Paris unterscheidet?
• Die Frage lautet: In wie weit soll sich der (z.B. deutsche, österreichische) Staat, als Bewirtschafter der lokal eingerichteten Institution, bei der Finanzierung engagieren, und ist der ungarische Staat wiederum nicht verpflichtet zu der Finanzierung beizusteuern? In wie weit ist es die Aufgabe des Staates die muttersprachliche (ungarische) Kultur im Ausland zu fördern? (Die gleiche Frage stellten wir vor einer Woche als die Deutschsprachige Andrássy Universität im Rahmen unserer Veranstaltung vorgestellt wurde: In welchem Masse zeigt sich der deutsche Staat verbindlich für die deutschsprachigen Bildung in Ungarn beizusteuern.)
Meine zwei Argumente zu Gunsten der Verbindlichkeit der Finanzierung sind die Folgenden:
– Der Staat ist zur Förderung all jener Sprachen verpflichtet, die seine Steuerzahler sprechen, auch im Ausland. Die Erhaltung der nationalen, ethnischen, Sitten bezogenen Vielfalt Europas und der Welt liegt in unserer aller Interesse, und zu dieser Vielfalt trägt ebenfalls die Erhaltung der ungarischen Sprachkultur bei, mitsamt ihren verschiedenen Sprachvariationen. (Und hier möchte ich nicht auf die im Ausland lebenden Minderheiten mit Ungarisch als Muttersprache näher eingehen.) Aus diesem Grund muss der ungarische Staat sowohl den Nachkommen der ungarischen Emigranten als auch denen, die sich allgemein für Ungarn interessieren, wesentliche Hilfe beim besseren Kennenlernen der ungarischen Sprache und Kultur leisten.
 Es liegt im wirtschaftlichen Interesse der ungarischen Staatsbürger, dass die Bürger anderer Staaten Ungarisch lernen. Wer Ungarisch lernt, kommt früher oder später nach Ungarn, als Tourist oder gar um Geschäfte abzuschließen, aus diesem Grund mögen wohl so einige Ungarisch lernen. Somit ergibt sich ein allgemeiner Nutzen für die Gesamtheit der Staatsbürger. Und alles, was den Bürgern Nutzen einbringt, kann von den gemeinsam eingezahlten Steuergeldern finanziert werden.
• Die Frage lautet: Wie soll die diesbezügliche Konstruktion zur Finanzierung aussehen? Ich stimme für die Finanzierung von Projekten. Die Lohn- und Sachkosten sind natürlich vom lokalen Staat (in diesem Fall vom deutschen bzw. österreichischen Staat) zu tragen, aber an der Finanzierung der Projekte soll sich der ungarische Staat beteiligen.
Mit Bezug auf Lebensunterhalt sowie Nachfrage müssen im Europa der Zukunft auch praktische Überlegungen in den Vordergrund rücken. Und nicht nur die „emotionalen”, die „Regungen der Seele und des Herzens”. In der Stadt Komorn versuchte ich meinen slowakischen Kollegen das Folgenden zu erklären: Für jemanden, der der ungarischen Minderheit in der Slowakei angehört lohnt es sich eher Ungarisch und als Zweitsprache Deutsch zu lernen – in gegebenem Fall sogar die slowakische Sprache überspringend –, da innerhalb der EU der ungarische Markt 12 Millionen, der deutsche Markt wiederum 100 Millionen Menschen zählt, während der slowakische Markt lediglich einige Millionen. Dieser Umstand muss letztendlich zur Kenntnis genommen werden.”