Europas hundertjähriger Krieg – eine Studie von Ferenc Glatz zum Ersten Weltkrieg

Dienstag, 10. März 2015
„Európa százéves háborúja. Vitaindító megfontolások. (Europas hundertjähriger Krieg. Zur Diskussion anregende Überlegungen)” lautet der Titel der Studie von Ferenc Glatz, die im Konferenzband zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des Großen Krieges veröffentlicht wurde. Seine Betrachtungsweise über den Krieg bündelte Glatz in drei Thesen zusammen: 1. Es handelt sich laut seiner Auffassung um einen hundertjährigen Krieg Europas, der in vier Abschnitte unterteilt wird; 2. Als Folge des Großen Krieges in Europa entsteht eine neue „Weltordnung”, d. h. es beginnt die Errichtung einer regulierten „Weltregierung“; 3. Das Verständnis und die Beurteilung des Ersten Weltkrieges wird erst im Umfeld der vier großen europäischen (globalen) Zeitfaktoren der Periode zwischen 1850 und 2013 möglich.

Erste These: Die erste Phase (1914–1919) des hundertjährigen Krieges in Europa war von der Zielsetzung geprägt, die Grenzen neuzuziehen sowie die Vorherrschaft, die Hegemonialmacht über Einflusszonen zu erlangen und die Weltmacht der atlantischen Mächte zu institutionalisieren. In der zweiten Phase (1939–1945) wurde anfangs die Korrektur des Versailler Nationalstaatensystems und der Grenzen durchgeführt (1938), später (1939) sollte die atlantische Übermacht gedämpft und das Programm der Errichtung eines nationalsozialistisch „Neuen Europas“ umgesetzt werden . Die dritte Phase – die Glatz zwischen 1947 und 1989 ansetzt und für die er den weitgehend geläufigen Begriff des Kalten Krieges verwendet – betrachtet er weitgehend als ideologisch geprägt (der Zusammenprall von liberaler Kapitalismus und Kommunismus), in der schließlich das Kriegsgeschehen soweit ausartet, dass der gesamte Globus zum Kriegsschauplatz wird. was am Ende bereits den ganzen Globus erfassend zu einem globalen Kriegsschauplatz ausartet – und der am Ende in einen den gesamten Planeten erfassenden, planetaren Kriegsschauplatz ausartete.) Die vierte Phase (1990–2013) beschreibt er als einen erneuten Krieg, der mit dem Ziel der territorialen Aneignung und der Austragung von bewaffneten Konflikten geführt wurde, wobei ab 1991 es zum weiteren Zerfall der Friedensordnung von 1919–1920 kam. Dieser Vorgang kommt mit dem Ausklang der Entwicklung des Nationalstaatensystems zum Abschluss, also mit der Gründung der Europäischen Union (1992), und ihrer Erweiterung in nordöstliche Richtung, dann auf das Karpatenbecken (2004) und den West-Balkan (2007, 2013).
Zweite These: Dem Großen Krieg Europas folgend wurde die Errichtung einer neuen „Weltordnung“, d. h. einer regulierten „Weltregierung“ begonnen. Der Große Krieg Europas und die Errichtung der „neuen Weltordnung“ sind beide Derivate des gleichen Territorialverwaltungssystems (1920) – die Entwicklung und das Überkommen der Nationalstaaten – (1920). Der Völkerbund hat seitdem nicht aufgehört sich weiterzuentwickeln (1945, Vereinten Nationen) – wobei der vermeintliche „Endpunkt“ dieser Entwicklung ein den gesamten Globus erfassendes Territorialverwaltungssystem, ein globaler Weltstaat, ist.)
Dritte These: Der Große Krieg Europas kann nur im Kontext der vier, übergreifenden, europäischen (globalen) Epochenfaktoren der Zeit von 1850 bis 2013 erfasst und beurteilt werden. Diese vier Epochenfaktoren sind wie folgt: a.) die zweihundertjährige Geschichte der Nationalstaatenentwicklung in Europa; b.) die Entfaltung der industriell-technischen (wissenschaftlichen) Revolution in Europa, und später im globalen Raum; c.) die Emanzipierung der östlichen und südlichen Erdteile (d. h. der außerhalb der Siedlungsgebiete des weißen Menschen liegenden Teile), die Entfaltung der globalen Symbiose der menschlichen Kultur. 4. Die Abwandlungen der Erde (Gaia) in ihrer Funktion als Lebensort, Habitat in den vergangenen 170 Jahren: die bereits erfassten Positionsänderungen der Erde im Universum, die messbaren Werte des Klimawandels, die Angst vor der Erschöpfung der natürlichen Erdressourcen (Energieträger, Boden, Wasser, Luft). (Den letzteren Faktor hätte ich ebenso an erster Stelle nennen können…)
Glatz gab seiner Überzeugung Ausdruck, dass der Jahrestag eine gute Gelegenheit dafür bietet, die Aufmerksamkeit der Geschichtsschreibung auf die Universalgeschichte, die Erneuerung der Forschungsthematiken und der angewandten Genres sowie auf neue Betrachtungsweisen (Anthropologie, Psychologie, Entscheidungstheorie) zu lenken.